Wir schaffen was?

10/01/2016 Arbeitsmarkt

Mehr als eine Million Menschen werden in diesem Jahr nach Deutschland einwandern, als Arbeitnehmer, als Asylbewerber und Flüchtlinge, als Illegale. „Wir schaffen das“, sagt die Bundeskanzlerin. Ökonomen stellen lieber die Frage: Wir schaffen was? Sie unterscheiden zwischen der Immigration in den Arbeitsmarkt und der Immigration in den Wohlfahrtsstaat. Die Vermutung ist dabei, dass Immigration in den Arbeitsmarkt dem Einwanderungsland nutzt, während die Zuwanderung in den Wohlfahrtsstaat die Einheimischen belastet.

Immigranten haben Hände und Mägen

In der öffentlichen Diskussion werden Zuwanderer oft nur als Konkurrenten gesehen, die Arbeitsplätze wegnehmen. Das ist falsch. Nicht nur, weil die Immigranten in eine alternde Gesellschaft kommen, die Arbeitskraft sucht. Immigranten bringen generell nicht nur Hände und Köpfe mit, mit denen sie arbeiten wollen. Sie haben auch Mägen und Konsumwünsche, die gefüllt und erfüllt werden wollen. Immigranten stärken so das Angebot an Arbeit und, wenn man sie arbeiten lässt, auch die Nachfrage nach Gütern. Das eröffnet Chancen auch für die Einheimischen, Chancen auf Beschäftigung und auf Gewinne für Unternehmen. Die größere Wirtschaft nutzt so allen.

Unzureichend ist es auch, Immigranten als Rivalen bestimmter Gruppen heimischer Arbeiter zu betrachten. Die klassische Analyse der Einwanderung folgt diesem Muster. Kommen Immigranten ohne Schulabschluss, dann konkurrieren sie direkt mit heimischen Geringqualifizierten. Der schärfere Wettbewerb drückt die Einkommen der Niedriglöhner und wertet ergänzende Produktionsfaktoren auf. Akademiker etwa oder Handwerksmeister profitieren von der Einwanderung Geringqualifizierter, weil ihre Leistungen relativ knapper werden. Plastisch mag man sich das im Extrem so vorstellen, dass Rechtsanwälte oder Ärzte mit der Einwanderung aus mehr Haushaltshilfen oder Büroboten wählen können.

Die nicht zu Hause bleiben

Diese Analyse spiegelt einen wichtigen Teil, aber eben nur einen Teil der Folgen der Zuwanderung. Mindestens so wichtig ist, dass Immigranten auch als Schmiermittel am Arbeitsmarkt wirken. Der verstorbene Julian Simon etwa betonte, dass Zuwanderer unternehmensfreudiger und flexibler und ein Gewinn für das Einwanderungsland sind. Das ist einsichtig: Einwanderer sind immer diejenigen, die nicht zu Hause geblieben sind. George Borjas zeigt am amerikanischen Beispiel, dass Zuwanderer räumlich beweglicher sind als die Einheimischen und so helfen, regionale Engpässe am Arbeitsmarkt zu schließen. Das hebt die gesamtwirtschaftliche Produktivität und nutzt allen.

Ifo-Forscher um Michele Battisti mutmaßen, dass Einwanderung Unternehmer dazu verleitet, mehr Arbeitsplätze anzubieten, von denen auch Einheimische profitieren. Der Grund liegt darin, dass Zuwanderer oft weniger scharf verhandeln und so weniger verdienen als ihre einheimischen Kollegen. Zuwanderung kann auch helfen, übertriebene Gewerkschaftsmacht einzudämmen, was einheimischen Arbeitslosen hilft, fanden Forscher um Christoph Schmidt schon 1994 heraus.

Alle diese positiven Wirkungen der Zuwanderung setzen voraus, dass Immigranten arbeiten dürfen. Deutschland ist gegenüber Flüchtlingen offen, am Arbeitsmarkt aber recht verschlossen. Der Mindestlohnzwang verhindert zuverlässig, dass Flüchtlinge mit geringer Ausbildung und fehlenden Deutschkenntnissen leicht in den fremden Arbeitsmarkt hineinfinden können. Generell dürfen Asylbewerber und Flüchtlinge für drei Monate gar nicht arbeiten. Danach haben sie nachrangigen Status. Bevor ein Unternehmer Asylbewerber oder geduldete Flüchtlinge beschäftigen darf, muss er nachweisen, dass er die Stelle nicht mit einem Deutschen oder EU-Bürger hätte besetzen können. Erst nach 15 Monaten Aufenthalt steht Asylbewerbern oder geduldeten Flüchtlingen der Arbeitsmarkt ohne Einschränkung offen. Vorher erhalten sie deutsche Almosen. Der Wohlfahrtsstaat erzieht seine Neubürger zur Abhängigkeit.

Das Lob der Illegalen

Das ist im Kern das theoretische Argument dafür, dass die Einwanderung in den Umverteilungsstaat den einheimischen Bürgern schade. Doch empirisch ist es unklar, ob Zuwanderer in den Umverteilungsstaat eine Belastung darstellen. Wenn unternehmensfreudige und bewegliche Menschen einwandern, zahlen sie schnell mehr in die Sozialkassen ein, als sie erhalten. In einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft können Zuwanderer ferner Lücken schließen, die Generationenverträge der Sozialkassen ein wenig stabilisieren und dazu beitragen, dass sich öffentliche Infrastruktur auch in Randgebieten noch rechnet. Diese Effekte umfassend aufzurechnen ist nicht einfach.

Doch bleibt generell die Sorge, dass der umverteilende Staat der Tendenz nach Menschen anlockt, die von der Umverteilung profitieren, und diejenigen verjagt, die zahlen sollen. Darin gründet das Diktum des verstorbenen Wirtschaftsnobelpreisträgers Milton Friedman, dass man freie Zuwanderung und einen Wohlfahrtsstaat zusammen nicht haben könne. Friedman gelangte so zu der Beobachtung, dass illegale Einwanderung wünschenswert sei. Illegale integrierten sich in den Arbeitsmarkt, erhalten aber keine Sozialleistungen.

Das Lob der illegalen Einwanderer wird für Deutschland nicht politische Leitschnur werden. Utopisch auch ist die Erwartung, Zöllner oder Beamte könnten feststellen, welche Zuwanderer in der Zukunft den Sozialkassen zur Last fallen oder nicht. Will man den Sozialstaat nicht beschneiden und die Zuwanderung nicht übermäßig strangulieren, muss man die Anreize zur Einwanderung in den Sozialstaat begrenzen. Eine Möglichkeit wäre, arbeitslose Immigranten für einige Jahre von den Sozialleistungen auszuschließen. Ein Vorbild gibt es: Die Vereinigten Staaten strichen mit der Wohlfahrtsreform 1996 neuen Einwanderern für fünf Jahre den Zugang zu den Sozialleistungen des Bundes. Es sei besser, eine Mauer um den Wohlfahrtsstaat zu bauen als um das gesamte Land, formulierte der verstorbene Ökonom William Niskanen.

Quelle: faz.net

Autor: Patrick Welter

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